Supernasen

Tropische Temperaturen im Garten. In Biotonne und Kompost feiert ein buntes Ökosystem hitzige Sommernachtspartys – akustisch unauffällig, dafür mit selbst für menschliche Nasen aufdringlichem Aromen-Feuerwerk. Verschiedene Partygäste scheinen magisch angezogen vom vielversprechenden Smell eines Partybüffets in allen Zersetzungsphasen. Bei der Frage, was meine Mitbewohner eigentlich riechen, wenn ich und meine Nase sich angewidert abwenden, hat mir ein großartiges Buch geholfen: „Die Nase vorn“ von Prof. Bill Hanson. Großer Pluspunkt: Es ist von jemandem geschrieben, der sich wirklich auskennt und auch selbst zum Thema forscht. Zweiter Pluspunkt: Es nimmt auch Lesende mit, die nicht am Max-Planck-Institut arbeiten und sowieso gerade gar nicht arbeiten, sondern freiwillig AUS SPAß lesen wollen – und das stellt zusätzlich Anforderungen an einen Text, die der Autor wunderbar gemeistert hat. Empfehlung!

Auf diesem Bild des Nadelholz-Rindenspanners, der sich in einer warmen Nacht ins Badezimmer verflog, erkennt man die fefiederten Antennen der Nachtfalter gut.

Zur Sache: Bill Hanson und sein Team haben beispielsweise mit Mottenmännchen experimentiert, und zwar mit einem Vertreter der Eulenfalter (Spodoptera littoralis). Anhand ihrer Versuche haben sie berechnet: Ein „spitzes“ Mottenmännchen nimmt den Sexuallockstoff einer paarungswilligen Nachtfalterdame bereits in einer unglaublich schwachen Konzentration wahr: Wenige einzelne Moleküle des passenden Pheromons reichen ihm, um sie zu finden. Wir Menschen bräuchten 200 Millionen Moleküle pro Kubikzentimeter, um die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten. Hanson erklärt: Die Konzentration an Seyxuallockstoff, die der Mottenmann delektiert lässt sich mit folgendem Versuch umschreiben: Man nehme ein Kilo Zucker und verteile es gleichmäßig in der GESAMTEN Ostsee! Homöopathieverdächtig! Die großen Fächer an seinen Antennen tragen zu diesem Zweck 100.000 feine Geruchshaare, um die Empfindlichkeit dieser Präzisionsmeßgeräte zu erhöhen.

Gemeine Wespe – kaum steht Fleisch auf dem Tisch, schon sind sie da. Ihr Geruchssinn lässt offenbar nicht zu Wünschen übrig.

Präzisionsmessgeräte sind allerdings oft etwas empfindlich und arbeiten manchmal nur in einem bestimmten Temperaturbereich wirklich zuverlässig. Beim Frostspanner liegt – der Name lässt es erahnen – das Temperaturoptimum für die Funktion des olfaktorische Leitsystems bei 10 Grad, wie sie ein sonniger Wintertag erreichen kann. Bei 20 Grad funktioniert es kaum noch. Normalerweise schlüpfen Frostspanner im Spätherbst. Sie nehmen keine Nahrung auf und leben nur wenige Tage auf Reserve um pheromongeleitet ein flugunfähiges Weibchen zu finden. Wird es in diesen Tagen zu warm, versagt das Sex-Navi, und den Singvögeln fehlen im Frühling die frühen Raupen. Ein weiteres Beispiel dafür, wie wenige Grad mehr fein abgestimmte Prozesse durcheinander bringen.

Die Goldfliege mag selbst lieber Nektar und Pollen „flacher“ Blüten – zur Eiablage sucht sie aber gern Faulendes. Je nach Situation mag sie also Blütenduft oder Aasgeruch.

Um den Kompost kreisen allerdings eher Fliegen und Wespen als Motten, und auch die haben in Sachen Geruchssinn erstaunliche Fähigkeiten: Geosmin, der Erdgeruch, zeigt Essigfliegen beispielsweise an, dass Schimmelpilze am Büffet eingetroffen sind – noch bevor es wirklich pelzig wird. Deren Hinterlassenschaften sind für den Fliegennachwuchs allerdings – genau wie für uns – giftig. Erdig müffelnde Essensreste werden daher eher verschmäht, dagegen wirkt der Geruch gärender Früchte besonders appetitlich: Der Duft verrät die Anwesenheit von Hefen, deren Stoffwechselprodukt den Speiseplan der Essigfliegen bereichern. Zur Eiablage führen Aromen wie Valencen aus Orangen zu den favorisierten Zitrusfrüchten. Wer genauer wissen möchte, wie die Insektennase arbeitet, kann bei Hanson selbst nachlesen.

Schlafendes Bergmolch-Pärchen. Bißchen undynamisch für’s Foto, aber ich wollte sie nicht stören. Die Nase ist wie der ganze Rest an ein Leben in zwei Elementen angepasst.

Das Näschen meiner Bergmolch-Dame hat ebenfalls ein besonderes Feature: Es kann dank eines Zweikammer-Systems sowohl unter – als auch über Wasser riechen. Das ist natürlich sinnvoll, wenn man zwar den meisten Teil des Jahres außerhalb des Wassers in meinem Staudenbeet lebt, aber den besonders wichtigen Teil (Fortpflanzung und Eiablage) im Wasser vollzieht.

Diese Rötelmaus besuchte uns im Ferienhaus. Meine eigenen kleinen Mäuse im Garten (es sind verschiedene) bekomme ich einfach nicht vor die Linse. Mäusenasen sind jedenfalls eine Klasse für sich.

Spitzenklasse im Riechen sind allerdings die derzeit allgegenwärtigen Mäuse (die Eule ist noch nicht aus dem Sommerquartier zurück.) Ganze vier „Nasen“ trägt jedes kleine Mäuschen mit sich herum: Das typisch spitze Mäusenäschen ist eine Schleimhaut mit großer Oberfläche, wie bei uns. 10 Millionen Nervenzellen trägt es und erschnuppert, was der Speiseplan so her gibt.


Die zweite „Nase“ sitzt oberhalb des Gaumens und hat eine Spezielfunktion: Es dient der Entschlüsselung von Pheromonen. Mithilfe dieses sogenannten vomeronasalen Organs (VNO) können Mäuse aus dem Urin ihrer Artgenossen wichtige Informationen lesen: Alter, Geschlecht, aber auch Paarungsbereitschaft und Aggressionspotential… (Man stelle ich das einmal in menschlichen Gesellschaften vor!) Als drittes gibt es noch ein Ganglion mit nur ein paar hundert Neuronen, das vor allem der blitzschnellen Warnung vor tödlicher Gefahr zu dienen scheint (Katze, Fuchs oder im Stress verendete Artgenossen) und Fluchtreflexe auslöst. Schließlich haben die Forschenden noch einen speziellen Abschnitt im Riechepithel im Visier, dessen Funktion noch nicht richtig verstanden ist. Es gibt insgesamt noch reichlich offene Fragen bezüglich der molekularen Funktionsweise des Riechens.

Die Ringeltaube kann sehr wohl riechen! Von Feuergeruch unter ihrer Schlafbuche lässt sie sich allerdings nicht abschrecken.

Bleiben noch die Vögel. Lange galt es als gesetzt, das Vögel nicht riechen können. Im 19. Jahrhundert experimentierte jemand etwas dilettantisch mit Geiern: Die Vögel bekamen ein Gemälde mit toten Schafen hingestellt (welches sie anpickten). Außerdem bekamen sie ein totes Schaf, das allerdings vor ihren Blicken verdeckt war (was sie links liegen ließen). Schlussfolgerung: Geier riechen nix, sie fliegen auf Sicht. 100 Jahre später stellte sich heraus: Das Aas im ersten Experiment war selbst den Geiern zu vergammelt, das wollten die nicht. Frisches Aas finden sie mit Hilfe des Geruchssinns schnell – sie gelten damit allerdings als olfaktorische Ausnahmetalente unter den Vögeln. Etwas fiese Experimente mit Tauben zeigen, dass ihr Orientierungssinn wenigstens teilweise an einem funktionierenden Geruchssinn hängt. Vögel können also sehr wohl riechen, aber wie gut, ist wenig erforscht. Leider kann ich also nicht sagen, ob den Ringeltauben die Biotonne unter ihrem Schlafbaum stinkt oder die Waldohreule die Mäuse riechen kann – wahrscheinlich eher nicht..

Ein spitzes Igelnäschen riecht definitiv mehr als wir. Unsere Nase ist eher für die Wahrnehmung von Aromen beim Essen ausgelegt – dort hat sie eine besonders wichtige Funktion. Wir schmecken daher (mit Hilfe der Nase) viel besser als viele Tiere, dafür riechen wir nur so lala. Dafür kann man ja oft nur dankbar sein….

Der Igel dagegen besitzt wie die Mäuse ein gut funktionierendes VNO, auch Jacobsches Organ genannt. Er sieht schlecht, riecht (und hört) aber hervorragend. Kürzlich tapste er deutlich witternd am helllichten Tag über den Rasen – ob ihn die Pizzadüfte aus unserer Küche gelockt hatten? Das wird bis auf weiteres sein Geheimnis bleiben.

Zum Titelbild: Das Langrüsslige Stockrosen-Spitzmäuschen (Rhopalapion longirostre) hat einen langen „Rüssel“ mit Mundwerkzeugen am Ende, die auch chemische Informationen verarbeiten. Er „riecht“ aber hauptsächlich mit seinen Atennen.

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