Herrin über Leben und Tod

Da hat sich ein frisches Pflänzchen durch die Erdkrume gedrängt und ringt mit seinen Artgenossen um Boden, Luft und Licht. Es steht in Reih‘ und Glied, nachdem ich anfangs lieber in natürlicher wirkenden „Placken“ säte. Der Nachteil war, dass ich hinterher nicht mehr wusste, was im Hochbeet von mir gepflanzt und essbar und was möglicherweise wild und giftig sein könnte, daher bin ich zur konventionellen Anzuchtmethode zurückgekehrt. „Wenn nötig vereinzeln“, stand auf der Samentüte, und jetzt ist deutlich sichtbar, dass es nötig ist, damit die Pflanzen sich in ihrem Konkurrenzkampf nicht gegenseitig erschöpfen. Das bedeutet leider, dass ich die am wenigsten vielversprechendsten Pflanzen aussortieren muss, also die langsamen, trödeligen oder abgelenkten. „Nur die Harten kommen in Garten“, sagt das Sprichwort. Das Pikieren ist eine enervierende Fummelei mit den Fingerspitzen und außerdem irgendwie traurig. Auch wenn ich vielleicht ein ungeduldiger Mensch ohne Helfersyndrom bin: Kleine und Schwache ausmerzen – das macht einfach keinen Spaß.

„Unkraut jäten“

Ebenso unbeliebt ist bei mir das vom guten Gärtner verlangte jäten unerwünschter Wildkräuter, dem eine Zuordnung in die Kategorie nützlich oder vernichtungswürdig vorangehen muss. Kürzlich hörte ich in einer im dritten Reich spielenden Serie das schaurige – und mir bis dahin unbekannte Wort-„Ballastexistenzen“, und während meditativer Gartenarbeit hat man ja ausreichend Gelegenheit darüber nachzudenken, welche Barbarei noch vor einem knappen Menschenleben hier bei uns damit gerechtfertigt wurde. Natürlich macht es einen gewaltigen Unterschied, ob man sich nun zum Richter über lebenswertes menschliches oder pflanzliches Leben aufschwingt. Aber mir macht eben nicht mal letzteres Freude.

Ist das Gemüse oder kann das weg?

Abgesehen von gefühltem Widerwillen habe ich auch rein kognitiv Schwierigkeiten mit der Einteilung. Stellt Euch eine Nutzpflanze vor, die absolut anspruchslos überall im Garten zurechtkommt, sogar im Schatten, kein zusätzliches Gießwasser benötigt und sich zuverlässig selbst immer wieder aussät. Die unermüdlich essbare Blätter für Salat oder Pesto liefert und dabei fast ganzjährig mit einer fünfmarkstückgroßen (die Älteren erinnern sich), leuchtend gelben Blüte erfreut, welche ebenfalls essbar und außerdem eine beliebte Bienenweide ist. Die äußerst fotogene Samenstände mit einer luftigen geometrischen Konstruktion von hohem Spielwert bildet und ohne jede Pflege auskommt. Wer wollte dieses Wundergemüse nicht haben?

Und doch gilt Löwenzahn (Taraxacum) als besonders bekämpfungswürdig, vor allem bei meinem Gatten, eigentlich dem langmütigeren Part in unserer Beziehung. Es gibt sogar spezielle Waffen für den Kampf gegen den Löwenzahn.

Einlasskontrolle nach Nasenfaktor

Es gibt noch mehr Pflanzen, die meine Sympathie ausnutzen, um Jahr für Jahr territoriale Zugewinne zu verbuchen. Akelei (Aquilegia) darf auch in den Wegritzen wachsen, genau wie Glockenblumen (bir mir: Campanula persicifolia). Das orangerote Habichtskraut  (Pilosella aurantiaca) beherrscht Ränder, die der Rasenmäher nicht erwischt. Es gibt eine Ecke mit Ackerschachtelhalm (Equisetum arvense), der sich mit seiner 375 Millionen Jahre währenden Geschichte auf diesem Planeten meinen Respekt erwachsen hat und andere Stellen mit Zaunwinde (Calystegia sepium), die scheinbar ohne Wasser auskommt und trotzdem anmutig blüht.

Gegner statt Opfer

Dann und wann dünne ich den Bestand etwas aus, aber zur (wenigstens temporären) Ausrottung kann ich mich nicht aufraffen. Nur wenn es gilt, einen unter der Übermacht übergriffiger Pflanzen erstickenden Günstling zu schützen, fällt mir das Rupfen und schneiden leicht. So müssen die Lampionblumen regelmäßig mit Dezimierung rechnen, bevor sie meine Hortensien und Schwertlilien überwuchern. Der heldenhafte Kampf gegen Ranken und Ausläufer, schießendes und wucherndes wie Efeu oder silbrigblättrige Taubnessel (Lamium argentatum), Ahorn- oder Kastanienschösslinge kann durchaus ein befriedigendes Siegesgefühl hinterlassen, das durch die erworbenen Kratzer und den dazugehörigen Muskelkater nur verstärkt wird.

Bei der Aussaat dagegen versuche ich jedes Jahr nur in die Erde zu legen, was auch wachsen darf, das klappt aber nur mäßig. Der kommerzielle Erfolg von Samenbändern zeigt mir immerhin, dass ich nicht die einzige bin, die sich mit der Selektion frischer Keimlinge ungern die Hände schmutzig macht. Da wir nicht auf Rekorderträge aus meinem Hochbeet angewiesen sind, kann ich mir als Freizeit-Gartenherrscherin meine gefühlsduselige Bummelei in Sachen Auslese glücklicherweise gestatten. Pazifistische Neutralität gegenüber allen Gartenbewohnern ist dagegen leider keine Option, habe ich doch die Gebietsansprüche meiner Familie zu verteidigen.

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Comments

  1. Hallo, Dani ,deine „Gartengeschichten“ sind genauso gut wie Matzes Predigten. Ihm hörebich gerne zu, deine Geschichten lese ich gerne und finde mich und unseren Garten darin manchmal wieder. Vielen Dank dafür. Liebe Grüße, Erika

    1. Dankeschön Erika!
      Ich habe schon viel gelernt über meine Mitbewohner – aber keine Lust den Blog richitg zu „bewerben“ und „Suchmaschinenoptimierung“ zu betreiben. Deshalb liest man hier im ganz kleinen Kreis ;-). Lieben Gruß aus Hemmerde
      Dani

  2. Hallo Dani, soo schön, deine ‚Smålandgeschichte‘. Da hattet ihr ja eine fantastische Zeit, fast wundert es mich,dass ihr die Bullerbü-Kinder nicht getroffen habt und Pippi Langstrumpf. Michel und Ida aus Lönneberga waren ja da, sieht man ja auf dem Foto? Liebe Grüße,Erika

    1. Liebe Erika,
      vielen Dank. Jetzt freuen wir uns schon darauf, endlich unser anderes Lieblingshaus wiederzusehen! Astrid Lindgrens Värld haben wir diesmal umgangen, aber schließlich haben wir quasi auf Katthult gewohnt!

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